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Mittwoch, 3. August 2016

Und hinter dem Vorhang das Licht

Da ist eine kleine Kirmes unten am Fluss. Es ist Sommer. Die Menschen lächeln und sind erfreut, sie wollen Spaß haben, sie wollen das Amüsement. Sie kaufen lose, fahren Kettenkarussel, essen gebrannte Mandeln und trinken Bier. Den adrenalintechnischen Höhepunkt des kleinen Fests stellt eine Schaukel dar, vielleicht 10 oder 15 Meter hoch. Die Gondel dreht sich im Kreis und die Beine baumeln frei herum. Die Schaukel schaukelt fast Kopfüber, aber nur fast. Die Fahrgäste kreischen, jaulen und jubeln. Sie wollen eine gute Zeit haben. Sie haben eine gute Zeit. Ihre schreie sind bis ans andere Flussufer zu hören. Dort sitze ich und lasse die Beine am Flusskai baumeln. Sie jauchzen immer im Takt der Maschine. Im schwenken des Arms. Es wirkt so schön und tragisch berechenbar zugleich.

Hinter der Schauckel steht ein Mietshaus aus den 50er Jahren. Ich stelle mir ein altes Paar vor das in einer der Wohnungen im dritten Stock direkt gegenüber der Schaukel lebt. Vielleicht schon seit etwa 50 Jahren. Es ist so schön hier im Herzen der Stadt. Mit Blick auf den Fluss. Außerdem kennt man sich in der Nachbarschaft. Einmal im Jahr haben sie dann da diese Kirmes vor ihrer Wohnung auf die sie von ihrem Wohnzimmer blicken können und dann steht da diese Schauckel. Und schaukelt das ganze Wochenende lang hin und her und hin und her. Mit jedem hin ein Jauchzen, mit jeden her ein Jubeln. Schaukelt hin. Schaukelt her. Vom ihrem Balkon können sie den vergnügten auf Augenhöhe begegnen, wenn sie wollen.

Doch sie sind genervt von der Monotonie des Glücks, des Takts der neuen Runde, jedes mal vorgegeben. Vorhersehbar. Jedes mal das selbe. Das Gejubel, die treibende Musik und die immergleichen Animationen der Schausteller "Wollt ihr nochmaaal?" Der Lärm und das Licht stört sie in ihrem Alltagsabläufen, Fernsehen, Zeitung lesen, schlafen gehen. Sie verstehen nichts bei dem Gebrüll, können sich nicht aufs Zeitunglesen konzentrieren und von Schlaf kann bei dem Lärm und Geblinke auch keine Rede sein. Das Paar meckert sich an, schimpft und ist gereizt. Zumindest nach außen hin, manifestiert im Kampf um die kleinen Banalitäten der Haushaltsführung. Sie fluchen sich an, "nächstes Jahr fahren wir raus aufs Land an dem Wochenende!", "Nochmal mach ich das nicht mehr mit!"

Doch im nächsten Jahr werden sie ihre Vorhaben wieder nicht wahr machen. Wie jedes Jahr. Denn eigentlich sind sie insgeheim doch froh darüber, das hier etwas passiert. Das dort junge Menschen eine gute Zeit haben, Liebelein entstehen und zerbrechen, Mutproben bestanden und manchmal dann doch im letzten Moment vorher gekniffen wird. Da sind so viele schöne und tragische Momente die sich da vor ihrer einfachen Wohnung ereignet haben. Hinter den Sorgsam gepflegten Blumenkästen, eine lebendige Welt. und bei all den gemeckere ist es dann doch das, was wirklich zählt.

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